Dienstag, 19. Januar 2016

Psycho oder nicht Psycho?

Pathologisiert durch Psychotherapie?
Mit mittlerweile 42 Jahren dachte ich, sei an der Zeit, die nächsten Schritte auf meinem Weg zu gehen und deshalb habe ich jeweils zum ersten Mal in meinem Leben einen Psychiater und einen Psychotherapeuten aufgesucht.

Nach einigen Terminen bei meinem Psychotherapeuten habe ich für mich persönlich folgendes festgestellt:

1. Die ganze Angst vor dem Thema Psycho... und Pathologisierung war vollkommen unbegründet und ich hätte nicht so lange überlegen müssen.
2. Es hat schon einen Sinn (auch wenn viele Branchen von uns Transmenschen finanziell profitieren).
3. Es handelt sich wirklich um eine "Begleitung". Wunder, tiefgreifende Erkenntnisse usw. sind wohl eher nicht zu erwarten (da nimmt euch keiner was ab Mädels und Jungs - Tipps schon - machen selber.)

Nachdem ich meine Thesen zu diesem Thema nun auf das Blog genagelt habe, will ich noch etwas mehr dazu schreiben.

In meiner Familie und meinem ganzen Umfeld kam es seit jeher einer Katastrophe gleich einen Psycho*** was auch immer zu konsultieren. "So etwas macht ein normaler Mensch nicht!"
Deshalb war meine Hemmschwelle schon ziemlich hoch.
Ganz aus Spaß sollte man natürlich nicht erscheinen, weil da wahrscheinlich irgendwie, irgendwo immer irgendwas hängen bleibt. Aber da es mir wirklich ernst ist und mein Hausarzt eh schon Bescheid weiß...

Der Sinn besteht für mich zuerst darin, dass wir gezwungen werden uns auch mit negativen Erwartungen der Transition auseinanderzusetzen. Das klingt zunächst einmal hart, ist aber durchaus realistisch. Schließlich kann ein wenig Realismus, neben der Euphorie das es nun endlich weitergeht und der Ungeduld, warum es so viele Monate dauert nicht schaden.

Ich (meine persönliche Meinung - wie alles hier) warte und leide nun schon so lange, dass es auf die paar Pflichtmonate nun auch nicht mehr ankommt (vor der Pubertät sieht das natürlich ganz anders aus).

Die Ärzte wollen und müssen also teilweise endgültige Entscheidungen mehrfach hinterfragen, weil sie  a) tatsächlich eine Fürsorgepflicht haben b) Rezepte und Verordnungen nicht auf Verdacht ausstellen sollten und c) die Krankenkasse Behandlungen (Logopädie, Epilation, Hormone, GAOP) ja irgendwann bezahlen soll.

Was ich hinnehme, aber nur teilweise verstehe - wir müssen dazu natürlich krank werden - irgendwie, weil die Krankenkasse ja nur Geld für Kranke ausgeben kann. Das sollten wir nicht vergessen.

Ich habe für mich entscheiden, mich lieber ein bisschen Pathologisieren zu lassen, als weiter als Mann leben zu müssen. Vielleicht ändern sich die Rahmenbedingungen und die Gesetze einmal - aber heute ist es so und damit muss ich zurechtkommen.

Bei meinem ersten Besuch beim Psychotherapeuten hatte ich den irrationalen Wunsch - er klärt jetzt alles auf, begründet es toll, wedelt etwas mit den Armen und ich bin nicht mehr Trans*
Das ist natürlich absoluter Schwachsinn - aber es war kurz vor Weihnachten und da darf ich mir ja wohl was wünschen.
Für mich ist nämlich wichtiger geworden, mein Leben glücklich zu leben. Das Geschlecht könnte mir egal sein... ist es aber nicht! Ich hab Jahrzehnte als Mann gelebt, hatte alle Chancen und es geht mir gut. Aber es ist ein Leben mit gebremstem Schaum.

Also lasse ich mich von nun an von den beiden Herren solange "begleiten" wie es notwendig ist, bis ich meine Ziele erreicht habe. Dazu gehört auch der Switch von der Theorie in die Praxis.
Rausgehen, Outing, Alltagstest, Stress, Beruf, Frühling, Sommer, Herbst und Winter mit hoffentlich vielen positiven und weniger negativen Erfahrungen.

So, nun habe ich wieder viel schwere Kost geschrieben. Aber das nächste Mal gibt's etwas Leichtes - neue Frisur oder neue Schuhe, oder Schmuck, oder Kaffee, oder ... Versprochen!

Macht es gut.

Birgit

1 Kommentar:

  1. Hallo Birgit. Toll geschrieben. Ich habe mich tatsächlich an meine eigenen Überlegungen zum damaligen Zeitpunkt erinnert. Einziger Unterschied: Mein Psychotherapeut war weiblich. :-) LG Maja

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